MONAT deckt die nächste Überstunden Affäre und Geisterprojekte bei Klagenfurt Wohnen auf!

Mitarbeiterin sitzt auf fast 900 Plusstunden. Auch Kollegen mit Riesen-Zeitguthaben. 100.000 Euro an Kosten drohen. Und: „Geisterprojekte“ sahen fast 13 Millionen Euro an mutmaßlich zu hohen Sanierungsausgaben vor.

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Das Klagenfurter Rathaus ©Stadtpresse/Helge Bauer

VON FRANZ MIKLAUTZ

Kommen Sie näher! Treten Sie ein! Nehmen Sie Platz in unserer Zeitmaschine. Wir fliegen zurück ins Jahr 1873. Jules Verne veröffentlicht gerade seinen weltberühmten Roman „In 80 Tagen um die Welt“. In dem Buch schließt der englische Exzentriker Phileas Fogg eine für damalige Verhältnisse schier unglaubliche Wette ab: Er will die Erde in 80 Tagen umrunden. Was für ein Spinner!

Hätte er anstatt seines treuen Dieners Passepartout eine ganz bestimmte Mitarbeiterin von Klagenfurt Wohnen mitgenommen, hätte die Reise fast doppelt so lange dauern können. Damit wäre zwar Foggs Wette verloren gegangen, aber die Mitarbeiterin hätte bei ihrem echten Arbeitgeber, dem erwähnten städtischen Eigenbetrieb Klagenfurt Wohnen, der die rund 3100 Gemeindewohnungen für die Landeshauptstadt verwaltet, keine Probleme mit ihrer Abwesenheit bekommen. Im Gegenteil – ihre Abwesenheit wäre vielleicht nicht einmal aufgefallen. Denn die Frau sitzt auf einem Berg von fast 900 Überstunden.

Dritte Affäre. Nachdem im Oktober eine Überstunden-Affäre rund um den Klagenfurter Branddirektor die Landeshauptstadt erschütterte und im Februar des Vorjahres vom Kärntner MONAT aufgedeckt worden war, dass der mittlerweile pensionierte Ex-Magistratsdirektor Peter Jost 2022 exakt 800 geleistete Überstunden ausbezahlt bekam, ist dies nun die dritte Überstunden-Causa bei der Stadt Klagenfurt. 

Jost ging mit 1. Jänner 2024 nicht ganz freiwillig in Pension. Er hatte eine Dienstverlängerung von Bürgermeister Christian Scheider (Team Kärnten) in der Hand, die zwar von der Kärntner Gemeindeaufsicht für nichtig erklärt worden war, die Jost aber mitsamt Überstundenzuschlägen einklagte. Schlussendlich einigte man sich auf einen Vergleich, den offenbar das Team Kärnten bezahlte. Der kostete die Partei aber nicht wie oft kolportiert zwischen 170.000 und 200.000, sondern wie MONAT-Recherchen ergaben, rund 339.000 Euro. 170.000 davon landeten auf Josts Konto, 20.000 Euro allein machte Jost für psychische Alteration, also seelische Schmerzen, geltend. 

Und dann die Überstunden des Branddirektors. Der schrieb seit seinem Amtsantritt im Jahr 2022 Überstunden im Bruttowert von 55.000 Euro. Hinter den Rathausmauern wird gemunkelt, dass der Branddirektor befürchtet haben soll, während seiner Abwesenheit von einem Kontrahenten beerbt zu werden. Der Mann wurde nämlich als Branddirektor eingestellt, hatte aber nicht die nötige Ausbildung dazu. Weswegen er diese außerhalb Kärntens nachholen musste.

Millionenausgaben: Mehr als 179.000 Überstunden kamen bei der Berufsfeuerwehr zusammen ©Faksimile

Basis zu Freiwilligen. Das klingt skurril, scheint aber nicht so sonderbar zu sein, wie es aussieht: Einerseits müssen alle Offiziersanwärter eine entsprechende Ausbildung absolvieren. Besagter Branddirektor wird laut Insidern zudem einer von nur drei Feuerwehrleuten mit der höchstmöglichen Ausbildung bei der Berufsfeuerwehr der Landeshauptstadt sein. Andererseits ist die Einstellung des Mannes im Jahr 2022 offenbar auch dem Fakt geschuldet, dass die Zusammenarbeit mit den Freiwilligen Feuerwehren in Klagenfurt auf eine solidere Basis gestellt werden sollte. 

179.000 Überstunden. Scheider hatte im ORF erklärt, dass er von den Überstunden des Branddirektors erst im September 2024 erfahren habe. Er hatte aber nachweislich seit spätestens März 2024 von den rund 179.000 Überstunden bei der (gesamten) Berufsfeuerwehr der Jahre 2018 bis 2022 gewusst. „Der signifikante Anstieg bei der Berufsfeuerwehr in den Jahren 2020 bis 2022 ist der Corona-Pandemie geschuldet. Die von der Bundesregierung vorgeschriebenen Maßnahmen haben dazu geführt, dass bei der Berufsfeuerwehr das Dienstsystem geändert werden musste, um den Betrieb aufrechtzuerhalten und somit die Sicherheit der Bevölkerung gewährleisten zu können. Das hat zu den Überstunden geführt“, sagt Scheider. Die Zeitguthaben würden nun nach der Corona-Pandemie wieder sinken. Beim Branddirektor habe er einen „Überstundenstopp“ verfügt.

Sinken würden die Plusstunden der Klagenfurt-Wohnen-Mitarbeiterin nur durch Abbau oder Auszahlung. Exakt sitzt sie auf einem Polster von 867 Überstunden. Es ist die höchste Anzahl beim städtischen Eigenbetrieb – und das mit Abstand. Konkret dürfte die Mitarbeiterin bei der stadteigenen Immobilien Verwaltung Klagenfurt angestellt sein, einer GmbH, die mit Klagenfurt Wohnen eng verzahnt und in den kommunalen Betrieb integriert ist. 

Der Anstieg bei der Berufsfeuerwehr ist der Corona-Pandemie geschuldet.

Bürgermeister Christian Scheider

27 Weltumrundungen. Diese 867 Überstunden, sie wurden im Unterschied zu den Jost-Stunden im Laufe von möglicherweise vielen Jahren geleistet, standen Ende Oktober im Zeiterfassungssystem der Stadt. Umgerechnet mit einer üblichen Arbeitszeit von 174 Stunden pro Monat würde die Frau also rund fünf Arbeitsmonate in Folge blau machen können. Zeitausgleich, der fast für zwei Welt-
umrundungen mit Phileas Fogg reichen würde. Damals, 1873, hätten sie fiktiv 160 Tage für zwei Globusrunden gebraucht. Würde man es auf die schnellste je gemessene Umrundung mit einer – nicht mehr verfügbaren – Concorde aus dem Jahr 1995 umrechnen, könnte die Frau mit ihren Überstunden den Planeten sogar rund 27 Mal umkreisen. 

An die Oberfläche gekommen waren die 867 Überstunden, weil die Gleitzeitregelung bei der IVK rechtswidrig sein könnte. Das förderte die Recherche des MONAT zutage. Potenziell rechtswidrig, weil die Zeitguthaben der Mitarbeiter offenbar über Jahre hinweg Monat für Monat einfach fortgetragen wurden. Und darin dürfte der tatsächliche Problemfall liegen. Die mittlerweile abgesetzte Geschäftsführung von Klagenfurt Wohnen und IVK dürfte der Sache keine große Aufmerksamkeit geschenkt haben. Denn besagte Mitarbeiterin ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt weitere Kollegen mit Hunderten angesammelten und geleisteten Überstunden. Über welchen Zeitraum, ist unklar. Aber die Zweit- und Drittplatzierten wären noch immer in der Lage, fast zwei bzw. rund eineinhalb Arbeitsmonate lang mit Fogg um die Welt zu tingeln. Ohne auch nur einen einzigen Urlaubstag zu verbrauchen. 

Über 100.000 Euro. Die monatliche Mitnahme der Überstunden hat sich offenbar eingebürgert, wie ein in der Sache angefragter Arbeitsrechtler erklärt. Normalerweise müssten Überstunden innerhalb von vier Monaten nach dem Tag der Überstundenleistung geltend gemacht werden, ansonsten verfallen sie. Die Stadt geht aber offenbar davon aus, vor dem Arbeitsgericht wenig Erfolg zu haben, würde sie auf die Vier-Monats-Verfallsfrist pochen.

Der Grund: Die Stadt wies die Zeitguthaben der jeweiligen Mitarbeiter ums eine und andere Mal auf den jeweiligen Zeiterfassungsunterlagen aus. Jetzt befürchtet man im Magistrat offenbar, dass in diesem Vorgehen eine Zustimmung liegen könnte, die die Viermonats-Verfallsfrist auflöst. Die Spitzenreiterin allein könnte die Stadt letztlich mehr als 36.000 Euro kosten. Insgesamt kalkuliert man sogar mit bis zu 100.000 Euro an Kosten für die Abgeltung der Zeitguthaben. 

Geisterprojekte. Doch wer glaubt, das sei die einzige Schweißperle auf der Stirn von Gerhard Scheucher: Fehldiagnose. Der seit heuer neue Geschäftsführer von Klagenfurt Wohnen und der IVK ist mit dem Aufräumen jahrelang offenbar unbeachteter Missstände beschäftigt. Spätestens seit dem aufsehenerregenden Kontrollbericht des Landesrechnungshofs (LRH) über Klagenfurt Wohnen ist klar: Es ist Feuer am Dach. Nach Recherchen des MONAT könnte der Wohnbetrieb jetzt auf einen nächsten Skandal zusteuern. 

Konkret geht es um die Investitionskosten für Sanierungen der städtischen Gemeindebauten. Dafür soll es zwei Listen geben. In der ersten ist der Sanierungsbedarf für 2024 mit 600.000 Euro angegeben. In der zweiten Liste, in dieser geht es offenbar um einen längeren Zeitraum, kalkulierte man mit einem Sanierungsbedarf von rund 14 Millionen Euro. Die 600.000 Euro wurden vom Gemeinderat, dem höchsten Gremium der Landeshauptstadt, offiziell freigegeben.

An diesen drei Adressen eichen geschätzter und tatsächlicher Sanierungsbedarf haushoch voneinander ab:

Kein Dachschaden. Und dann spielte offenbar Kommissar Zufall eine Rolle: Scheucher, der zu einem Statement nicht bereit war und auf seinen politischen Vorgesetzten Vizebürgermeister Alexander Kastner verwies, ließ ein vermeintlich zu sanierendes Dach von einem Gutachter inspizieren. Und diese Prüfung ergab: kein Dachschaden. Nach Meinung des Professionisten musste es nicht saniert werden. Das irritierte Scheucher offenbar. Daraufhin lässt er, so die Vermutung, alle vom Gemeinderat genehmigten und auch die in der Langzeitliste geplanten Sanierungen überprüfen. Und das Ergebnis gibt in höchstem Maß zu grübeln. 

Die ausgeschickten Gutachter finden nämlich heraus, dass der geplante Sanierungsbedarf mit Millionen zu hoch angesetzt worden sein könnte. Sie zeigen auf, dass man anstatt der geplanten 14  Millionen aus der Langzeitliste mit nur 1,2 Millionen Euro auskommen könnte. Was wiederum hieße: dass um fast 13 Millionen zu hoch kalkuliert worden wäre. Eine Differenz, die mit Schlamperei oder dem Vorsichtsprinzip eines ordentlichen Kaufmannes wohl nicht mehr argumentierbar ist. 

Irrwitziger Sanierungsbedarf. Drei Beispiele aus der Recherche: In der Klagenfurter Hummelgasse waren Sanierungen in der Höhe von einer Million Euro geplant. Der losgeschickte Gutachter kam aber auf einen tatsächlichen Sanierungsbedarf von gerade mal 54.000 Euro. Die Kalkulation war also um fast 950.000 Euro zu hoch angesetzt. Reparaturbedürftig sollen mitunter Dach, Fassaden und Elektrik gewesen sein. Oder: In der Fischlstraße waren Dämmungen, Fenstertausch und Gehweg-Sanierungen geplant. Geschätzter Kostenpunkt: 980.000 Euro. Wie die Begutachtung ergab, sollten für Reparaturen aber gerade mal 39.000 Euro ausreichend sein. Also gut 940.000 Euro zu viel geschätzt. Und dann noch die Kumpfgasse in Klagenfurt. Da hatte man 250.000 Euro, etwa für Mauertrocknungen und Sockelsanierungen, prognostiziert. Der Prüfer drückte diese Zahl auf gerade mal 500 Euro, ein Betrag, bei dem man die Sanierung vielleicht gleich hätte sein lassen können.

Mir fehlt jegliche Fantasie für diese hohen Differenzen

Alexander Kastner, Vizebürgermeister

Mit dem rätselhaften Delta von fast 13 Millionen Euro und der Frage konfrontiert, ob hier Absichten im Spiel gewesen sein könnten, sich oder anderen Personen Vorteile zu verschaffen, antwortet Wohnungsreferent Kastner (Team Kärnten) folgend: „Das wird jetzt alles geprüft.“ Er habe Rechtsanwalt Michael Sommer eingeschaltet. Kastner, so viel sagt er vorerst, fehle „aber jegliche Fantasie für diese hohen Differenzen zwischen tatsächlichem und prognostizierten Sanierungsbedarf“.

Ohne Ausschreibung. Schon im erwähnten Bericht des LRH war kritisiert worden, dass Klagenfurt Wohnen einen Auftrag an Ziviltechniker im Wert von über einer Million Euro ohne Ausschreibung vergeben hatte. Auch Kastners Vorgänger Alois Dolinar und Landeswohnbau-Referentin Gaby Schaunig (SPÖ) war eine gewisse Schief-
lage aufgefallen. Das deshalb, weil bei Sanierungen von 60 Bädern Architektenkosten von 141.000 Euro angefallen waren. Dabei sahen alle Bäder gleich aus und waren nur vier Quadratmeter groß, wie aus einer Aktennotiz hervorgeht. Der nun errechnete tatsächliche Sanierungsbedarf würde auf der anderen Seite aber im Widerspruch zum Zustand etlicher Gemeindewohnungen stehen. Denn laut LRH-Bericht ist ein Teil der Gemeinde-Bleiben in bedenklichem Zustand und würde wohl einer Generalsanierung bedürfen.

Das Problem ist, dass das von der ehemaligen 
Führung geduldet wurde.

Constance Mochar, Stadträtin

Zur Überstunden-Causa bei der IVK befragt, bestätigt die für Beteiligungen zuständige Stadträtin Constance Mochar (SPÖ) die Recherche des MONAT: „Ja, das stimmt. Wir müssen das jetzt bereinigen. Besser jetzt als später.“ Das könne sonst nur teurer werden. Mochar sieht die Problematik darin, „dass das von der ehemaligen Führung geduldet worden ist“. 

Mochar wie auch Kastner haben die Probleme geerbt, sind erst kurz in ihren Referaten. Es würde wenig wundern, wenn beide angesichts des Schlamassels nicht gänzlich abgeneigt wären, mit Fogg 80 Tage um die Welt zu reisen.

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