Kann Liebe unpolitisch sein?

Privates ist politisch

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© Pexels/ Ba Tik

Haben politische Einstellungen nichts in einer Beziehung zu suchen oder sind in der heutigen Zeit gleiche Werte und die Wahl derselben Partei unerlässlich? Wir haben bei Geschlechterforscherin und Autorin Beatrice Frasl sowie Sexualtherapeutin Brigitte Moshammer-Peter nachgefragt.

Netflix-Streamer:innen staunten nicht schlecht,als bei der amerikanischen Version der Datingshow „Love is Blind“ zwei Frauen die dort gefundene Beziehung zu ihren Männern aufgrund anderer Werte und Lebenseinstellungen
beendeten. Während den Frauen Diversität und Toleranz wichtig waren, präsentierten sich die Männer in der Show konservativer – das Ende der jungen Realityshow-Liebe war das Resultat.

Andere Werte und Einstellungen sind ansonsten selten Thema in Realityshows, an dieser Stelle muss man allerdings festhalten, dass die Sendung wohl in diesem Fall durchaus als ein Spiegel der aktuellen Gesellschaft gesehen werden kann: Betrachtet man aktuelle Wahlverhalten sowie eine Analyse der britischen „Financial Times“, kann man deuten, dass junge Frauen eher links und junge Männer eher rechts wählen. Dieses Phänomen kann man sogar schon seit Jahren weltweit beobachten. „Es ist keine kurzfristige Entwicklung, denn der ideologische Gap zwischen den Geschlechtern wird immer größer. Das bedeutet gleichzeitig auch, dass Männer und Frauen weltanschaulich immer weniger zusammenpassen“, erklärt Beatrice Frasl, Geschlechterforscherin, Feministin und Autorin.

Die Rolle der politischen Werte

Die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern ist seit Jahren omnipräsent und bei der heterosexuellen Partner:innenwahl maßgeblich einschneidend – oder? Denn unabhängig von Geschlecht und Sexualität könnte man doch argumentieren, dass Politik in einer Liebesbeziehung nichts verloren hat. Aus Sicht der Psycho- und Sexualtherapeutin Brigitte Moshammer-Peter ist das nicht so einfach: „Werte sind ein wesentlicher Faktor bei der Partner:innenwahl. Egal ob es sich dabei um religiöse, gesellschaftspolitische oder parteipolitische Werte handelt. Von Personen mit ähnlichen Werten fühlen wir uns schneller und leichter verstanden und besser angenommen.“

Es entstehe dadurch ein Gefühl der Verbundenheit. Hingegen würden Menschen mit divergierenden Werten mitunter als unsympathisch erlebt werden: „So fördern ähnliche und gemeinsam geteilte Werte und Haltungen die Harmonie in der Beziehung, während unterschiedliche Anschauungen und abweichende Perspektiven oft Spannungen und Konflikte herbeiführen.“

Schon in den 1970er-Jahren war ein Leitsatz der Frauenbewegung: „Das Private ist politisch.“ Aus der Zeit gefallen scheint der Satz heute nicht zu sein, insbesondere in Zeiten von eingeschränkten Frauenrechten weltweit. „Wenn mein Partner findet, ich sollte gezwungen sein, zu gebären, wenn ich ungewollt schwanger werde, da er gegen das Recht auf Abtreibung ist, trifft das das Innerste der Beziehung zueinander. Wenn er findet, dass Frauen am besten Hausfrauen und Mütter zu sein haben und daheim finanziell abhängig Tradwife spielen sollten, trifft das die Art, wie man Beziehung zueinander organisiert und kann nicht einfach ausgeblendet werden. Hier geht es nicht um unterschiedliche Ansichten darüber, wie das Steuersystem zu gestalten ist oder um die Frage, ob man für oder gegen eine Maulkorbpflicht für Hunde im öffentlichen Raum ist. Es geht konkret um Frauenrechte und darum, wie das Zusammenleben von Männern und Frauen zu gestalten ist“, hält Frasl fest.

„Beziehung ist eine Entscheidung“

In ihrem Buch „Entromantisiert euch!“ plädiert Frasl für mehr Liebe, die selbst guttut – und nicht immer von Partner:innen erfolgen muss, sondern auch freundschaftlich sein kann. Sie betrachtet darin die historische Entwicklung von Liebesbeziehungen zwischen Frauen und Männern und inwiefern das Patriarchat diese geprägt hat. Frasl betont, dass Frauen vielerorts so unabhängig und frei seien wie noch nie: „Frauen haben tatsächlich, anders als Generationen vor uns, immer mehr die Freiheit, keine Beziehungen mit Männern einzugehen. Sie brauchen Männer nicht mehr um ein Bankkonto zu eröffnen oder arbeiten zu können. Und wenn Frauen Männer nicht mehr brauchen, müssen Männer gewollt werden.“

So verweist sie unter anderem auf den viralen Boysober-Trend, bei dem sich junge Frauen absichtlich dazu entscheiden, keine Männer mehr zu daten und enthaltsam leben, um auf das eigene Wohlbefinden zu schauen. Frasl geht sogar so weit und sagt: „Es geht ihnen besser ohne Männer.“ Worauf sie anspielt, sind Ergebnisse des britischen Glücks- und Verhaltensforschers Paul Dolan, der beschreibt, dass Singlefrauen gesünder und glücklicher seien sowie länger leben würden als Frauen in heterosexuellen Beziehungen. Im Gegensatz dazu, seien Männer glücklicher und gesünder, wenn sie ein einer Beziehung leben. Wie der Forscher selbst salopp sagt, sollten Männer heiraten, Frauen hingegen nicht.

Frasl ergänzt: „Frauen werden oft mit der Vorstellung sozialisiert, dass Liebe und Partnerschaft essenzielle Bestandteile eines erfüllten Lebens sind. Märchen, Rom-Coms und Popkultur vermitteln das Bild der ‚großen Liebe‘, die eine Frau vervollständigt. Außerdem werden Frauen in heterosexuellen Beziehungen häufig in die Rolle der emotionalen Versorgerin gedrängt. Sie sollen Konflikte lösen, die Gefühle des Partners regulieren und die Beziehungsarbeit leisten – oft auf Kosten ihrer eigenen Bedürfnisse. All das führt nicht selten zu tiefer emotionaler Erschöpfung, zu physischer und psychischer Überbelastung, die Frauen krank machen kann.“

Liebe kann nicht unpolitisch sein

Nicht mehr zu daten oder ewige Enthaltsamkeit sind aber dann doch für die Meisten keine finale Lösung. Moshammer-Peter hebt daher Kommunikation und die Bereitschaft für einen Austausch als wesentliche Faktoren für eine stabile Liebesbeziehung hervor. Gemeinsame Werte könnten eine solide Basis in Paarbeziehungen bilden, unterschiedliche Wertvorstellungen müssen aber kein unausweichliches Ende sein, so die Therapeutin. „Besonders Themen wie soziale Gerechtigkeit, Umweltpolitik, Migration und wirtschaftliche Ungleichheit können in Paarbeziehungen zu Spannungen führen, da sie oft mit intensiven emotionalen, moralischen oder religiösen Überzeugungen verknüpft sind. Diese Fragen berühren grundlegende Aspekte der Identität und der Werte, was individuelle Ängste, wie beispielsweise den Verlust von Wohlstand oder Sicherheit, auslösen kann.“

Zudem polarisieren insbesondere Themen rund um Geschlechterrollen und Frauenrechte, die vor allem in heterosexuellen Paarbeziehungen schlichtweg unausweichlich im Alltag sind. Allerdings: Ein aktiver Austausch auf Augenhöhe kann dazu führen, dass sich andere Einstellungen auch positiv auf die Beziehung auswirken können. Voraussetzung sollte selbstverständlich Respekt und eine offene Kommunikation sein. Wie Moshammer-Peter erklärt, könne Intoleranz und eine starre Haltung zwar zur Entfremdung führen, Dialog über politische Themen könnte hingegen auch tiefe Einblicke in die individuellen Überzeugungen sowie emotionalen Bedürfnisse des Gegenübers bieten und somit eine Bereicherung darstellen.

„Dabei ist es wichtig, aktiv zuzuhören und zu versuchen, die Perspektive der anderen Person auch verstehen zu wollen. Es kann für die Zweisamkeit hilfreich sein, gemeinsame Werte zu identifizieren, die über die politischen Unterschiede hinausgehen, und sich auf diese zu konzentrieren. Zudem kann es sinnvoll sein, klare Grenzen zu setzen, wann, wie und in welchen Situationen politische Diskussionen geführt werden und wann es besser ist, diese Themen auszuklammern“, ergänzt Moshammer-Peter. Ein empathisches Hineinversetzen, so die Expertin, könne das gegenseitige Verständnis zudem stärken. Ihr Leitsatz: Das Verurteilen anderer Sichtweisen ist keine Option, stattdessen sollten Gründe, die hinter diesen Überzeugungen stehen, verstanden und erörtert werden.

Agree to disagree?

Bei gewissen Themen kann man eine andere Meinung verkraften oder unterschiedliche Haltungen als wertvoll für die eigene Beziehung ansehen. Prallen jedoch völlig unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander, eigene Wünsche werden ignoriert und hitzige Diskussionen sind unvermeidbar, ist der Verlust von Intimität und Nähe sowie gegenseitige Entwertung in der Partner:innenschaft unvermeidbar, wie Moshammer-Peter festhält. Politik ist eben manchmal doch privat.

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