Der Duft der Erinnerung – wie Gerüche unsere Seele berühren
Wie Düfte Erinnerungen wecken und Gefühle lenken: Entdecke die Wirkung von Parfums auf unsere Emotionen – von Energie bis Geborgenheit.
© unsplash / danie franco
Du möchtest dich selbstbewusster, frischer oder geborgener fühlen?
Vielleicht brauchst du nur den richtigen Duft…
Früher bin ich mit meinen Großeltern jeden Sommer nach Rimini gefahren. Immer ins Hotel Sombrero, immer ins selbe Zimmer: zweiter Stock, rechte Seite, mit Blick aufs Meer. Frühstück um neun, Mittagessen um eins, Abendessen um sieben. Dazwischen: schwimmen, Sandfiguren bauen, Boccia spielen und „Granita alla menta“ schlürfen. Für uns Kinder waren diese drei Ferienwochen pure Glückseligkeit. Heute, über zwanzig Jahre später, sind viele Eindrücke leider schon verblasst.

Immer der Nase nach
Vor ein paar Wochen stand ich in einem italienischen Supermarkt auf der Suche nach Duschgel, als ich plötzlich etwas im Regal entdeckte: eine blaue Sonnencreme-Flasche mit orangefarbenem geschwungenem Deckel und dem Schriftzug „Bilboa“ auf dem Etikett. War das nicht die, die meine Omi immer benutzt hat? Instinktiv griff ich nach der Flasche, öffnete den Deckel, schnupperte daran – und war plötzlich wieder acht Jahre alt: Auf der Strandliege in Rimini sitzend, meine Omi mit ihrem völlig aus der Zeit gefallenen Badeanzug und der genoppten rosa Badehaube vor mir, ihre cremigen Hände auf meine Schultern und meine Zehen, die sich in den kühlen Sand gruben.
Madeleine-Moment
Ich erlebte im Supermarkt dasselbe Phänomen, das schon der französische Schriftsteller Marcel Proust 1913 in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ beschrieben hat: Als sein Protagonist ein Stück Madeleine in Lindenblütentee tunkt und davon kostet, überkommt ihn ein plötzliches Gefühl tiefer Vertrautheit, das er zunächst nicht einordnen kann. Erst nach und nach tauchen die Bilder aus seiner Kindheit auf: der Sonntagmorgen im Elternhaus und seine Tante Léonie, die genau diesen Tee mit genau jenem Gebäck servierte. Daher spricht man heute auch vom sogenannten „Madeleine-Moment“, wenn durch einen Geruch oder Geschmack plötzlich eine Welle an Erinnerungen freigesetzt wird.
Unmittelbare Wirkung
Was für manche wie eine sentimentale Überhöhung klingen mag, ist neurologisch gut erforscht. Denn Gerüche und auch Geschmäcker – die bekanntlich eng mit dem Geruchssinn verknüpft sind –, strömen auf direktem Weg ins limbische System, also in jenen Teil des Gehirns, der für Emotionen und Erinnerungen zuständig ist. Anders als Bilder oder Sprache umgehen sie das rationale Denken; sie müssen also nicht erst „verstanden“ werden, bevor sie ihre Wirkung entfalten.
So duftet ein Sonntag
Aus diesem Grund beeinflussen Gerüche auch unser Verhalten, ohne dass wir es überhaupt merken; sie können beispielsweise beruhigen, beleben, stärken oder trösten. Darauf hat auch die Parfumindustrie reagiert: Immer mehr Marken entwickeln „Mood Fragrances“, also Düfte, die nach Stimmungen formuliert sind. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist die Linie „Replica“ von Maison Margiela. Jeder Duft soll ein ganz bestimmtes Lebensgefühl einfangen – etwa einen Sonntagmorgen im Bett („Lazy Sunday Morning“ erinnert mit Iris, Birne und Moschus an frische Wäsche), einen Spaziergang am Meer („Beach Walk“ duftet nach Kokosmilch und Sonnencreme) oder einen Nachmittag im Café („Coffee Break“ kombiniert Kaffeenoten mit einem Milchmousse-Akkord).
Emotionaler Anker
Wer einmal erkannt hat, wie eng Geruch und Gefühle miteinander verknüpft sind, kann sich dieses Wissen auch zunutze machen – etwa, um Düfte gezielt in bestimmten Stimmungslagen zu verankern. Ich zum Beispiel trage neue Parfums, wenn möglich, immer zuerst auf Reisen. Warum? Ganz einfach: Wenn ich jetzt an „Twilly“ von Hermès schnuppere, denke ich sofort an Irland, an weitläufige Hügellandschaften und wilde Felsküsten. „Nomade“ von Chloé wiederum versetzt mich gedanklich nach Florenz, in ein kleines Altstadtcafé mit einem prickelnden Schluck Campari auf der Zunge. Wer braucht da noch Souvenirs?

Energie & Klarheit
Wir alle haben sie, diese müden Tage, an denen Kopf und Körper nicht ganz in Schwung kommen wollen. Was es dann braucht, ist ein laaanges Schläfchen – oder den richtigen Duft! Denn manche Aromen wirken wie ein Wachmacher für die Sinne: Zitrusfrüchte oder kühle Kräuter etwa bringen Energie und Fokus – ideal in der Früh, nach dem Sport oder immer dann, wenn Sie sich ein bisschen sortieren wollen.
- Zitrone & Grapefruit: aktivierend, fördert klares Denken
- Pfefferminze & Eukalyptus: befrei end, aktiviert zentrales Nervensystem
- Basilikum: stimmungsstabilisierend, fördert Konzentration
- Rosmarin: tonisierend, wirkt gegen „Brain Fog“

Ruhe & Ausgeglichenheit
In stressigen Phasen reagieren wir empfindlicher auf Reize – dann sind „leise“ Düfte am angenehmsten. Helle Blüten, sanfte Hölzer und pudrige Noten aktivieren im Gehirn kaum Alarmsysteme, sondern signalisieren Sicherheit und Stabilität. Vetiver etwa wirkt zentrierend, Lavendel kann den Puls senken. Moschus vermittelt Nähe, weißer Tee Leichtigkeit. Diese Düfte erden, wenn es draußen mal wieder laut wird.
- Lavendel: kann Cortisolspiegel und Puls senken
- Bergamotte: wirkt spannungslösend und ausgleichend
- Moschus: vermittelt Weichheit und Nähe
- Vetiver: erdend, zentrierend

Selbstbewusstsein & Präsenz
Sie wissen, dass eine schwierige Präsentation, ein Vorstellungsgespräch oder eine Prüfung anstehen? Dann wird es Zeit für Ihre olfaktorische Rüstung. Düfte wirken nämlich nicht nur auf unsere Stimmung, sondern auch auf unsere Selbstwahrnehmung: Wussten Sie, dass Menschen tendenziell souveräner auftreten, lauter sprechen und mehr Augenkontakt halten, wenn sie sich selbst als „gut riechend“ empfinden? Das mag Placebo oder Biochemie sein – jedenfalls können wir diese Erkenntnis zu unserem Vorteil nutzen. Wenn Sie Ihr persönliches Power-Parfum noch nicht gefunden haben: Versuchen Sie es doch mal mit diesen Noten:
- Orangenblüte: stabilisierend, senkt Nervosität
- Schwarzer Pfeffer: leicht aktivierend, steigert die Aufmerksamkeit
- Patchouli: stimulierend, stärkt die Nerven
- Ingwer: aktivierend, fördert Tatkraft

Geborgenheit & Wärme
Gerade in Phasen von Überlastung oder emotionalem Stress greifen viele Menschen automatisch zu süßlicheren, vanilligen Parfums. Diese Duftnoten aktivieren im Gehirn nämlich ähnliche Rezeptoren wie Belohnungsreize – vergleichbar mit einem Bissen Schokolade oder einer Tasse Kakao. Sie senken das Stresslevel, wirken beruhigend und schaffen eine Art olfaktorisches Sicherheitsnetz: Man fühlt sich in dem Duft „gehalten“ und emotional stabilisiert. Mhhhh!
- Vanille: entspannend, hebt die Stimmung
- Sandelholz: zentrierend, beruhigt das vegetative Nervensystem
- Tonkabohne: weich, wärmend
- Amber: balsamisch, wirkt schützend und stabilisierend

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Über die Autorin:

Andrea Pfeifer-Lichtfuss ist Chefredakteurin der TIROLERIN und für die Ressorts Beauty und Style zuständig. Sie mag Parfums, Dackel und Fantasyromane. In ihrer Freizeit findet man sie vor der X-Box, beim Pub-Quiz oder im Drogeriemarkt.
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