
Was bringt TikToks viraler „Morning Shed“-Trend wirklich?
Lockenwickler, Mouth Tape, Augenmaske oder Kinnband – was es mit dem Trend auf sich hat.
© Pixelshot
Es ist 6.30 Uhr, der Wecker klingelt. Während die meisten Menschen um diese Uhrzeit mit zerzausten Haaren und Kissenabdruck im Gesicht ins Bad taumeln, steht Georgia bereits mit glänzenden Locken und strahlendem Teint vor der Kamera. Auf TikTok fragen sich viele: „Wie machst du das nur?“ und „Ich sehe morgens aus wie Hagrid, verrate uns dein Geheimnis!“. Georgia reagiert prompt und teilt ihre abendliche Beauty-Routine mit ihren Followern.
Die abendliche Maskerade
Wer jetzt an Abschminken, Gesichtscreme und Zähneputzen denkt, liegt falsch. Georgia zeigt ein ausgedehntes Prozedere: Lockenwickler, eine mehrstufige Skincare-Routine, Mouth Tape, Nasenpflaster, Augenpads, Zahnschiene, Kinnband und eine seidene Schlafmaske sind nur einige der vielen Schritte in ihrer Routine. Am Ende sieht sie ein wenig gruselig aus, von ihrem Gesicht ist kaum mehr etwas zu sehen. Doch Georgia versichert: „Ich schlafe wirklich besser und wache viel erholter auf!“

Das „Morning Shed“: Performance im Pyjama
Die Idee hinter dem „Morning Shed“ klingt zunächst bestechend praktisch: Wer abends genug Vorarbeit leistet, muss sich morgens kaum mehr stylen – nur mehr „häuten“. Diese Entwicklung ist symptomatisch für eine Generation, die es gewohnt ist, sämtliche Lebensbereiche zu tracken und zu optimieren. Doch ganz subtil schwingt hier ein Bild mit, das an alte Zeiten erinnert, wie die Szene in „The Marvelous Mrs. Maisel“, in der die Protagonistin heimlich aufsteht, um sich perfekt geschminkt und frisiert wieder zu ihrem Mann ins Bett zu legen.
Unsichtbare Arbeit und die Illusion der Mühelosigkeit
Die Vorstellung, dass eine Frau ihren Körper so „vorbereiten“ soll, dass sie am Morgen in makelloser Perfektion erwacht, entspringt tief verankerten patriarchalen Strukturen. Schönheit soll dabei möglichst leicht und mühelos wirken – dass es dafür Zeit, Geld und Disziplin braucht, bleibt unausgesprochen. Wirklich effizient ist das „Shedding“ nicht, es verschiebt die Arbeit lediglich in einen anderen Tagesabschnitt. Hinter dem scheinbar natürlichen Glow steckt eine ausgeklügelte Agenda an Produkten, Behandlungen und nicht selten medizinischer Unterstützung. Die Idee, dass Schönheit „einfach so“ entsteht, ist und bleibt eine gut verpackte Illusion.

Reizfaktor und die Bedeutung einer soliden Basisroutine
Wer dennoch gerne eine ausführliche Pflegeroutine praktiziert, sollte bedenken, dass mehr Aufwand nicht automatisch mehr Wirkung bedeutet. Hautärzt:innen empfehlen seit Jahren: Eine solide Basisroutine, individuell abgestimmt, ist der Haut langfristig zuträglicher als zehn verschiedene Seren und Masken. Zu viele Produkte können die Haut reizen, zu viele Maßnahmen den Schlaf beeinträchtigen und das Stresslevel erhöhen. Auch die Psyche dankt es, wenn das Schlafzimmer wieder Erholungsraum sein darf – und nicht zur erweiterten Selbstoptimierungszone mutiert.
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Über die Autorin:

Andrea Lichtfuss ist Chefredakteurin der TIROLERIN und für die Ressorts Beauty, Style und Gesundheit zuständig. Sie mag Parfums, Dackel und Fantasyromane. In ihrer Freizeit findet man sie vor der X-Box, beim Pub-Quiz oder im Drogeriemarkt.
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