© Netflix/ Stephanie Branchu
Warum schauen wir gerne Serien wie „Friends“ oder „Sex and the City“ zum zehnten Mal, obwohl wir jeden Handlungsstrang schon kennen? Wieso besteht so eine Hassliebe zu „Emily in Paris“? Das Phänomen Comfort Watching soll eine Erklärung bieten.
Kürzlich startete die bereits vierte Staffel von „Emily in Paris“ mit Lily Collins in der Titelrolle auf Netflix. Wie wir wissen, muss die Serie also sehr erfolgreich sein, sonst wäre sie schon längst abgesetzt worden. Zugegeben, auch ich habe sie sofort gestreamt und habe jedes kleinste Detail mit meinen Freundinnen durchbesprochen – am 12. September startet Teil zwei der Staffel, und wir fiebern gemeinsam darauf hin.
„So ein Blödsinn“, lautet dennoch das gemeinsame Fazit: Die häufigen Frankreich-Klischees nerven, die gigantischen Marketingerfolge von Emily sind unrealistisch, kein Mensch kann uns erzählen, dass sie wirklich durch so einen Job so viel Geld für Designkleidung hat, und wieso sind wir immer wieder mit demselben Liebesdrama konfrontiert?
Auch die Reviews im Netz verlauten ähnliches. Als die Netflix-Serie 2021 sogar für einen Emmy und einen Golden Globe nominiert wurde, gab es einen regelrechten Shitstorm. Trotzdem ist „Emily in Paris“ laut Streamingzahlen von Netflix eine der erfolgreichsten Serien. Was fesselt uns so daran?
Serienhypes bleiben bestehen
Auch Serien wie „Friends“, „How I Met Your Mother“ oder „Sex and the City“ sind seit Jahrzehnten beliebt und werden noch heute sowohl im Fernsehprogramm als auch bei Streamingdiensten häufig angeschaut. Hier könnte man ebenso sagen: Sie sind unrealistisch, glorifizieren toxische Beziehungen, sind sexistisch, enthalten homophobe Aussagen – die Liste an Beanstandungen ist schier endlos. Wären diese Serien heutzutage neu, würden sie vielleicht noch mehr von Kritiker:innen vernichtet werden als „Emily in Paris“. Hier wird aber aufgrund der Erscheinungsjahre verziehen, solange man die damaligen Fehler in den Dialogen reflektiert einordnen kann.
Außerdem greift das sogenannte Comfort-Watching-Phänomen. Sprich: Man sieht gerne Serien und Filme, die man bereits kennt. Rein in der Wissenschaft gibt es den Begriff zwar nicht, wie uns Univ.-Prof.in Dr.in Lisa Gotto, Professorin am Institut der Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien, erklärt, dennoch belegen zahlreiche Studien und Forschungen diesbezüglich genau zwei Dinge: Comfort Watching löst Nostalgie und Entspannung aus. Wiederholungen waren schon immer erfolgreich. Seit Jahren zeigen Fernsehsender tagtäglich dieselben Serien: „Gilmore Girls“, „Malcolm mittendrin“, „Big Bang Theory“ und Co schmücken das Nachmittagsprogramm. Verstärkt wird die Möglichkeit des Wiederholens durch die Streamingdienste.
„Neu an dem Phänomen ist, dass wir jetzt selbst wählen können. Das ist potenziell möglich seit der Einführung der Videokassette oder DVD, aber ist natürlich seit den Streamingdiensten noch einfacher“, so Gotto. Das frühere TV-Prinzip der Wiederholung können wir uns bequem selbst organisieren und bewusst stets auf Vertrautes zurückgreifen. So manche mögen das als negativ empfinden und Neues bevorzugen, doch dafür gäbe es eben die zahlreichen weiteren Serienformate und Filme zur Auswahl.
Was Neues aber immer mit sich bringt: Man lebt mit dem Ungewissen, man muss auch häufig mit Enttäuschung umgehen, da die Inhalte dann doch nicht gefallen können. Oder die unbekannten Formate können aufreiben, man muss sich erst mit den neuen Charakteren auseinandersetzen und ständig Entscheidungen bezüglich der neu gesehenen Inhalte treffen. Gotto erklärt den Vorteil von Comfort Watching so: „Sicherlich kann man sagen, dass das Vertraute vorrangig etwas Beruhigendes hat. Wir dürfen davon ausgehen, nicht verstört, nicht irritiert zu werden. Das kann entlasten.“ Kurz gesagt: Neues fordert uns, Vertrautes bringt Sicherheit. „Mit Comfort Watching reduziert man Komplexitätsdruck“, lautet das Fazit der Medienwissenschaftlerin.
„Ich bin jetzt Couchpotato.“
Es heißt nicht umsonst „die Qual der Wahl“: Je mehr Auswahl, desto mehr Entscheidung muss schon vor dem Anschauen gefallen sein. Wählt man daher einfach etwas, das man schon kennt, wählt man eine Handlungsentlastung. Das kann, vor allem wenn man gestresst oder müde ist, nach einem langen Arbeitstag oder nervenaufreibenden Erlebnissen von Vorteil sein. In Zeiten von ständiger Selbstoptimierung kann ein absichtliches Nein befreiend wirken. „Man kann auch einfach sagen, dass man das alles nicht mehr macht. ‚Ich bin jetzt Couchpotato!‘ Ohne Beurteilung, ohne Urteil. Das ist für mich das interessante Prinzip: die Ordnung des Handelns verlassen“, stellt Gotto klar.
Wie die Medienwissenschaftlerin vermutet, würde genau das auch immer wichtiger für Streamingdienste und deren Angebot werden: Die Mood der Kund:innen muss abgegriffen werden. Den Streamer.innen wird klar, dass sie nach Stimmungslage wählen, oder eben genau nicht wählen können.
Comfort Watching: Nostalgiefaktor und Hirn ausschalten?
Besonders beliebt fürs Comfort Watching sind Liebesgeschichten und Comedy, grundsätzlich funktioniert das Phänomen aber mit allen Genres. Wesentlich ist medienwissenschaftlich betrachtet der Nostalgiefaktor. Vor allem bei älteren Serien wie „Friends“ würde man damit nicht nur die Serie wieder aufwärmen, sondern auch eigene Erinnerungen. Zudem nennt Gotto die in der Serienforschung relevanten parasozialen Beziehungen: „Das bedeutet, man behandelt fiktive Personen so, als wären sie Vertraute. Das ist, würde ich behaupten, bei ‚Emily in Paris‘ auch der Fall. Je öfter man etwas schaut, desto vertrauter wird es. Es fühlt sich an wie die Umarmung eines vertrauten Gegenübers.“
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Wir nicken: Man will wissen, wie es mit Mindy und ihrer Band beim Eurovision Songcontest weitergeht, man fiebert beim Liebeswirrwarr von Emily mit, man wird Teil des Marketingbüroalltags, und sowieso kann man Emilys Chefin Sylvie einfach nur lieben. Nach vier Staffeln sind die Personen schlichtweg ans Herz gewachsen. Und nicht umsonst diskutieren wir noch heute, ob Rachel und Ross aus „Friends“ wirklich eine Pause hatten oder ob Ross schlichtweg fremdging. Man fühlt eben mit, auch wenn man weiß, dass es nur fiktiv ist und nichts Relevantes behandelt wird.
„Es geht aber auch nicht zwingend um Tiefe, man muss das nicht beurteilen. Es geht nicht ums Vorankommen, nicht um Erkenntnis, sondern ums Verweilen. Das Verweilen ist das Vorankommen“, so die Expertin zusammenfassend. Uns fordert im Alltag so einiges, da darf man sich ruhig auch einmal berieseln lassen. Ganz ohne Scham, ganz ohne schlechtes Gewissen, einfach nur abschalten und hinnehmen. Wie angenehm!
Über die Redakteurin
Lana Schneider ist als Head of Digital ständig auf der Suche nach neuen Trends in den Bereichen Popkultur, Mode, Beauty, Film und Lifestyle. Sie liebt gute Kaffeehäuser, sonnige Plätze und kleine DIY-Projekte fürs Zuhause.
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