Mental Load: Die unsichtbare Last
Im hektischen Alltag liegt oft eine unsichtbare Last verborgen.
© Pexels/Robert Èerban
Behandlungstermine ausmachen, Kindergeburtstage planen, einkaufen oder den Geschirrspüler ausräumen. Eltern haben täglich unzählige organisatorische Aufgaben im Kopf. Dieser nicht enden wollende Gedankenstrom von To-dos wird auch als „Mental Load“ bezeichnet und kann einen erheblichen Einfluss auf das eigene Wohlbefinden haben. Denn das Paradoxe an dem Phänomen: Der eigene Tag scheint vor Arbeit nur so überzuquellen, das Geleistete wird jedoch kaum vom engeren Umfeld gesehen, geschweige denn wertgeschätzt.
Im deutschsprachigen Raum machte Bloggerin Patricia Cammarata das Konzept der übersehenen Care-Arbeit weithin bekannt. Die berufstätige Mutter dreier Kinder veröffentlichte deswegen ihr Buch „Raus aus der Mental
Load Falle„, in dem sie praktische Tipps gibt, wie Verantwortlichkeiten und To-do innerhalb der Familie gerecht untereinander aufgeteilt werden können.
dauererschöpfung im alltag
Dass vor allem Frauen an dieser mentalen Überlastung leiden, läge meist an geringer Schätzung der eigenen Arbeit sowie verinnerlichten alten Rollenmodellen, schreibt Cammarata in ihrem Werk. Zwar sei Mental Load nicht an ein bestimmtes Geschlecht gebunden, „in heteronormativen Durchschnittsfamilien tragen dennoch vor allem Frauen den Mental Load“, so die Autorin.
Interessant sei dabei, dass es sich in homosexuellen Beziehungen laut Studien anders verhalte – zumindest solang es keine Kinder gäbe. „Schwule und lesbische Paare haben keine althergebrachten Geschlechterrollen, auf die sie zurückgreifen, und fühlen sich mehr der Gleichberechtigung verpflichtet. Kommen Kinder in diesen queeren Beziehungen hinzu, kommt es auch hier zu einem Ungleichgewicht, denn das Paar teilt sich dann die Rollen eher klassisch. Eine:r wird finanzielle:r Versorger:in in der Familie und der oder die andere kümmert sich um den Haushalt und die Kinder.“ Die Geburt eines Kindes hat also einen stark retraditionalisierenden Effekt auf Paare – egal ob homo- oder heterosexuell – der dazu führt, dass Mental Load selten geteilt wird.
5 tipps, um mental load bewusst aufzuteilen
1 | denkfehler vermeiden
Wichtig sei es vor allem, die mentale Arbeitsbelastung auch als solche anzuerkennen – und zwar von beiden Partner:innen. „Der erste Denkfehler ist, dass der Mann arbeitet und die Frau nicht, weil sie zu Hause ist. Doch der tatsächliche Unterschied ist lediglich: Der Mann bekommt ein Gehalt ausgezahlt – die Frau nicht. Es arbeiten aber beide.“ Vor allem viele Frauen würden ihren eigenen Wert oft nicht kennen und die eigene Leistung nicht als Arbeit anerkennen. Cammarata argumentiert hier, dass es nur gerecht wäre, wenn die Partner:innen, die zu Hause bleiben, auch ihre Arbeitsleistung ausrechnen würden. „Das Baby schreit nachts und muss gewickelt und beruhigt werden – 20 Minuten aufs Konto.“ So könne man schnell sehen, wie viel Zeit eigentlich in die Care-Arbeit gesteckt wird.
„Es ist für das Thema Mental Load wirklich wichtig, dass man sich darüber klar wird, was alles in der eigenen Verantwortung liegt und wie viele Stunden man in das gemeinsame Projekt Familie einbringt.“ Dabei unterstützen kann der Test der Initiative „Equal Care Day“, den man als Paar gemeinsam ausfüllen und mit dem man ins Gespräch kommen kann.
2 | das unsichtbare sichtbar machen
Hat sich Mental Load erst einmal in Beziehungen oder Familien eingeschlichen, ist es gar nicht mehr so einfach, wieder heraus zu kommen. Die Unsichtbarkeit der mentalen Last erschwert das Ganze noch – sie kann zu Stress und Überlastung führen, da die Anstrengungen oft nicht ausreichend anerkannt werden. Die Auswirkungen können sich in Form von Erschöpfung, Angstzuständen und Frustration manifestieren. Um Mental Load fairer zu verteilen, ist es laut der Autorin entscheidend, dass Partner:innen sowie alle Familienmitglieder sich der unsichtbaren Arbeit bewusst werden und gemeinsam Verantwortung übernehmen. Offene Kommunikation und die Bereitschaft, Aufgaben zu teilen, können dazu beitragen, die Last zu verringern. „Mental Load reduzieren geht nicht ohne ständiges Verhandeln und Miteinander-Sprechen.“
3 | Planung & Koordination
Neben regelmäßigen Gesprächen sei es außerdem hilfreich, sich einmal wöchentlich gemeinsam zusammenzusetzen und eine Planung zu machen – am besten mit der gesamten Familie. Häufig sei es leider so,
dass einzelne Familienmitglieder zwar Aufgaben übernehmen würden, dann jedoch nur Teile davon abarbeiten. „Sei es das Teenagerkind, das verkündet hat, dass es den Kuchen backt, den wir zum Geburtstag der Tante mitbringen, und mir dann die unaufgeräumte Küche hinterlässt. Sei es der Partner, der Vorhänge anbringt, aber die Leiter nicht wegstellt. Solche Beispiele gibt es viele“, schreibt die Autorin in ihrem Buch. Es gelte also, bei der Planung ganze Aufgaben zu übertragen, inklusive der dazugehörigen Verantwortung. Sonst falle es nur wieder auf die ursprünglich verantwortliche Person zurück.
4 | raus mit dem druck aus dem kopf
Erst wenn Planung und Koordination der täglichen Aufgaben von allen Familienmitgliedern mitgetragen werden, weicht auch langsam der Druck aus dem Kopf der lasttragenden Person. Oft sei es nämlich zwar leicht gesagt, den Mental Load teilen zu wollen, aber gar nicht so einfach getan. „Beide Partner müssen umlernen. Derjenige, der sonst alles macht und für alles verantwortlich ist, muss das Abgeben lernen. Und derjenige, der die Dinge sonst nicht macht, muss die Abläufe und die Umsetzung kennenlernen.“ Das sei ein ganz normaler Prozess, der ein wenig dauere. Auch Cammarata musste zu Beginn erst lernen, Aufgaben abzugeben: „Ich wollte hart und stark sein und hatte nicht einmal den Gedanken, dass man die Arbeiten rund um Kinder und Haushalt teilen könnte oder sollte.“
5 | den knoten lösen
Die Vorteile des geteilten Mental Loads seien nicht nur eine bessere Zufriedenheit in der gemeinsamen Beziehung, es wirke sich auch positiv auf die eigene Gesundheit aus: Die Autorin schreibt, dass der Glücklichkeitsindex vor allem in den Ländern hoch sei, in denen Männer und Frauen besonders gleichberechtigt leben würden. Auch die Beziehung zu den eigenen Kindern würde sich durch das Teilen verbessern. Ein weiterer
Vorteil sei auch die dazugewonnene Zeit für sich selbst. „Mental Load zu teilen, schafft Freiräume und gibt Zeit zum Durchatmen.“ Wer also gemeinsam bereit ist, etwas zu ändern, kann es schaffen, die mentale Arbeitsleistung in den Griff zu bekommen.
Abschließend teilt Cammarata ihre größte Erkenntnis: „Es geht nicht darum, dass Haushalt und Kinder besser organisiert werden müssen, damit sich Mental Load reduziert. Das Gegenteil ist der Fall: Weglassen, Freiräume schaff en, Loslassen, Effizienz Effizienz sein lassen – das bringt Erleichterung. Eine gute Kommunikationskultur pflegen, Dinge gemeinsam machen und vor allem als Paar Energie darauf verwenden, füreinander da zu sein – das löst langfristig den Knoten.“
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Mehr Über die Autorin dieses Beitrags:
Tjara-Marie Boine ist Redakteurin für die Ressorts Business, Leben und Kultur. Ihr Herz schlägt für Katzen, Kaffee und Kuchen. Sie ist ein echter Bücherwurm und die erste Ansprechpartnerin im Team, wenn es um Themen wie Feminismus und Gleichberechtigung geht.
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