
Ist denn das zu glauben? Schwester Barbara Flad im Interview
Was bewegt einen Menschen dazu, ins Kloster zu gehen? Barbara Flad von den Barmherzigen Schwestern spricht mit uns über Sinnsuche, spirituelle Auszeiten und das Leben in einer riesigen Frauen-WG.
© Studoio 22 – Marcel Hagen
Es ist Montagnachmittag, die Sonne scheint. Wir stehen im Innenhof des Mutterhauses der Barmherzigen Schwestern in Zams, wo wir die neue Generaloberin Barbara Flad treffen. Gerade machen wir ein paar Fotos beim Springbrunnen, als plötzlich eine Tür aufgeht.
Eine Schwester winkt fröhlich heraus. „Das ist unsere Influencerin!“, lacht Barbara Flad. Besagte Schwester kommt im Eilschritt auf uns zu, zückt ihr Smartphone und schießt flott ein paar Fotos für den Instagram-Kanal des Ordens. „Ich mach’ zur Sicherheit immer gleich mehrere“, sagt sie.
„Übrigens, haben Sie schon unsere Goggelen gesehen?“ Sie zeigt auf ihrem Handy einen Post mit kunstvoll bemalten Ostereiern und strahlt dabei übers ganze Gesicht: „Die haben wir alle selbst gemacht!“ Augenzwinkernd fügt sie hinzu: „Diese Einblicke kommen richtig gut an. Fast 1.700 Menschen folgen uns schon auf Instagram.“ Man merkt sofort: Das Klosterleben hier ist alles andere als verstaubt – es ist lebendig, humorvoll und ganz schön digital unterwegs. Schwester Barbara Flad im Gespräch über moderne Spiritualität, die Kraft der Gemeinschaft – und das, was trägt, wenn vieles wankt.
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Mehr InformationenWarum haben Sie sich vor 20 Jahren entschieden, in den Orden einzutreten?
Barbara Flad: Das war kein spontaner Entschluss, sondern ein längerer Weg. Die Entscheidung für den Orden ist schwer in Worte zu fassen – ein bisschen so, wie wenn man fragt: Warum liebst du deine:n Partner:in? Man kann Dinge nennen, die faszinieren, aber das eigentliche „Warum“ bleibt oft schwer greifbar.
Bei mir kam während des Studiums immer wieder die Frage auf: Könnte das etwas für mich sein? Irgendwann habe ich gedacht, ich muss es einfach ausprobieren. Ich bin dann für ein Jahr nach Peru gegangen, zufällig zu den Schwestern, bei denen ich heute bin. Und da habe ich gemerkt: Das sind einfach ganz normale Frauen, die in Gemeinschaft leben, mit einem starken sozialen Fokus und gemeinsamen Werten. Danach bin ich Schritt für Schritt weitergegangen.

Was war für Sie die größte Veränderung, als Sie ins Ordensleben eingestiegen sind?
Tatsächlich war der Unterschied nicht so groß, wie viele vielleicht denken. Es gibt ja diese Vorstellung des „abgeschotteten Lebens hinter Klostermauern“ – aber so ist das bei uns gar nicht. Wir sind ein karitativer Orden und stehen mitten in der Welt, mit Schulen, Pflegeheimen, einem Krankenhaus. Selbst hier im Mutterhaus gehen Schul- und Schwesternbereiche nahtlos ineinander über.
Für mich persönlich hat sich vor allem die Wohnsituation verändert: Vorher habe ich allein gelebt, jetzt lebe ich mit 50 anderen Frauen in einer Art Riesen-WG. Da braucht’s natürlich Rücksichtnahme, Absprachen, alle Dinge, die das Leben in einer Gemeinschaft eben so mit sich bringt – das war schon eine Umstellung. Aber mein Arbeitsalltag war davor wie danach ganz ähnlich.
Wie haben Sie den Eintritt erlebt? Wurden Sie gleich mit offenen Armen aufgenommen?
Ja, total. Ich habe mich von Anfang an sehr willkommen gefühlt. Die Schwestern sind sehr gastfreundlich und offen – das ist auch heute noch so. Wir haben oft Gäste im Haus, auch junge Frauen, die ins Ordensleben schnuppern wollen. Da erlebe ich immer wieder, wie zugewandt und herzlich die Gemeinschaft ist. Natürlich ist nicht immer alles eitel Wonne – wie überall gibt’s Menschen, mit denen man leichter kann als mit anderen.
Aber man teilt viel, schaut aufeinander, trägt einander mit – und das gibt Halt. Gerade in einer Zeit, in der viele Menschen vereinsamen, ist das etwas sehr Wertvolles. Hier ist immer jemand da, bis ins hohe Alter. Und das gibt Kraft. Tatsächlich werden Ordensfrauen im Schnitt deutlich älter als der Rest der Bevölkerung und ich glaube, das Leben in Gemeinschaft ist ein ganz wesentlicher Grund dafür.

Viele denken ja, im Orden wird von früh bis spät gebetet. Wie läuft ein typischer Tag wirklich ab?
Meine Tage sind intensiv gefüllt mit Arbeit, anders würde sich unser Alltag nicht managen lassen. Natürlich gibt’s bei uns feste spirituelle Elemente, aber wir haben auch ganz normale Arbeitstage. Und ich mag diese kontrastreiche Mischung aus Gebet und Arbeit. Wir starten unseren Tag um 6.30 Uhr mit einer halben Stunde stiller Meditation. Danach gibt’s ein gemeinsames Gebet und ein kleines Frühstück.
Und dann geht jede ihrer Arbeit nach – im Krankenhaus, in der Schule oder, wie ich, im Büro. Mittags treffen sich diejenigen, die im Haus sind, nochmal ganz kurz für ein gemeinsames Innehalten – ein paar Minuten Stille, um den Vormittag zu reflektieren, sich ein bisschen in den Moment zurückzuholen und einfach runterzukommen. Dann wird zu Mittag gegessen und weitergearbeitet. Abends gibt’s wieder eine Gebetszeit oder an zwei Tagen auch eine Messe und danach Abendessen. Und wie zu Hause auch: Der Abend ist frei. Manche schauen fern, andere lesen, telefonieren oder arbeiten noch ein bisschen weiter.
Die Meditation und das Innehalten erinnern ein bisschen an ein Yoga-Retreat.
Ja, das sehe ich auch so! Leider tun sich viele schwer, diese Art der Achtsamkeit im Christentum zu entdecken. Sie fliegen lieber zum teuren Yoga-Retreat nach Bali, statt ins Kloster zu gehen – obwohl es bei uns ganz ähnliche Impulse gibt. In der Ordensausbildung lernen wir Meditationsformen, die sich von klassischen Achtsamkeitsübungen kaum unterscheiden. Nur heißt es bei uns eben anders und hat einen spirituellen Hintergrund. Aber im Grunde kann das auch jemand machen, der mit Glauben gar nichts am Hut hat – es geht darum, zur Ruhe zu kommen, sich selbst wieder zu spüren. Diese alte Weisheit ist längst da. Wir müssten sie nur wieder ernst nehmen.

Bieten Sie auch so etwas wie spirituelle Auszeiten an?
Ja, das machen wir. Es gibt ganz unterschiedliche Möglichkeiten, von ein paar Tagen bis zu längeren Aufenthalten. Manche Menschen kommen einfach, um Ruhe zu finden, spazieren zu gehen oder in Stille zu sein. Andere wollen gezielt an den Gebetszeiten teilnehmen oder wünschen sich eine spirituelle Begleitung. Hier im Mutterhaus sind es eher Einzelgäste, im Klostergut Kronburg bieten wir auch Gruppenformate wie Exerzitien an.
Gibt’s im Orden eigentlich Netflix und Smartphones?
Ich habe ein Netflix-Abo – aber ganz ehrlich, ich komme so selten dazu, dass es sich kaum lohnt. Was wir tatsächlich nutzen, ist zum Beispiel Spotify, da haben wir mehrere Familienabos. Früher lief bei unseren Feiern oder Gottesdiensten alles über CDs, heute haben wir Bluetooth-Boxen und steuern die Musik vom Handy aus. Viele Schwestern haben heute Smartphones, nur die älteren mögen lieber Tasten statt Wischen – aber das ist ja auch außerhalb des Ordens so.
Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Das ist ganz unterschiedlich, je nach Persönlichkeit. Es gibt Schwestern, die seit Jahrzehnten viel gemeinsam unternehmen, und andere, die ihre Freizeit lieber für sich gestalten. Ich zum Beispiel schalte in meiner freien Zeit gern komplett ab – dann bin ich oft mit Freund:innen in den Bergen unterwegs. Im Winter liebe ich Skitouren!
Stichwort Nachwuchs: Wie kann man junge Menschen für das Ordensleben begeistern?
Ich glaube, ein Großteil scheitert an den Vorstellungen, die Menschen von uns haben. Viele denken, bei uns ist alles streng, abgeschottet oder weltfremd – deswegen ist es uns wichtig, offen und präsent zu sein, auch digital. Begegnungen sind da zentral: Wenn jemand nach einem Besuch erzählt, „Das war ja gar nicht so schräg, wie ich dachte“, ist schon viel gewonnen.
Gleichzeitig leben wir in einer Zeit, die Dauerhaftigkeit, Gemeinschaft und Verbindlichkeit eher meidet. Viele wollen flexibel bleiben, individuell. Und das Bild der Kirche hilft gerade auch nicht unbedingt. Aber wir merken: Die Sehnsucht nach Sinn, Halt und Orientierung ist da. Die Welt ist voller Krisen – viele spüren, dass ihnen etwas zum Festhalten fehlt.
Unser Ziel ist es, ein Ort zu sein, der genau das bietet: Verlässlichkeit, Werte, ein Miteinander. Wer sich für den Orden interessiert, muss keine fertige Glaubensbiografie mitbringen, aber eine Offenheit für Spiritualität und Gemeinschaft. In unseren Einrichtungen arbeiten heute rund 1.900 Menschen mit uns; das sind mehr, als wir je waren. Der Geist lebt also weiter – vielleicht auf andere Weise, aber er lebt.
Gleichzeitig gewinnen Themen wie Feminismus und LGBTQIA*-Rechte zunehmend an Bedeutung. Wie viel Veränderungsspielraum sehen Sie hier in der Kirche?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt – und ich sehe da definitiv Veränderungsbedarf, vor allem in der Amtskirche. Aber man muss auch unterscheiden: Kirche ist nicht nur das, was von oben kommt. Wir als Ordensgemeinschaft sind Teil der Kirche, aber wir haben Spielräume, und die nutzen wir auch. Für uns ist zum Beispiel der respektvolle Umgang mit jedem Menschen selbstverständlich, unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung.
Und das leben wir auch so – nicht nur intern, sondern auch in unseren Einrichtungen. Was die Rolle der Frau betrifft: Da haben wir als Frauengemeinschaft naturgemäß einen anderen Zugang. Unser Ordensgründer, Vinzenz von Paul, hat schon im 17. Jahrhundert bewusst auf Frauen gesetzt, auch in Leitungspositionen. Das prägt uns bis heute.
Natürlich gibt es Dinge in der katholischen Kirche, wo wir an Grenzen stoßen. Aber wir konzentrieren uns nicht darauf, was nicht geht, sondern auf das, was möglich ist. Ich habe in meinem Umfeld viele Menschen, die queer sind oder einfach nicht dem klassischen Bild entsprechen – das ist für mich im Umgang völlig irrelevant. Wichtig ist, wie jemand als Mensch ist, was er oder sie beiträgt. Und ich glaube, genau da liegt auch die Zukunft: im Miteinander, nicht im Ausschluss.
Welche Dinge gilt es zu bedenken, bevor man ernsthaft über einen Ordenseintritt nachdenkt?
Es kommt darauf an, aus welcher Lebenssituation man kommt. Für manche sind es ganz praktische Fragen: Was mache ich mit meiner Wohnung, meinem Auto, meinen Sachen? Aber die eigentlichen Fragen gehen natürlich tiefer. Spätestens wenn es ernst wird, muss man sich entscheiden: Will ich wirklich dauerhaft auf Partnerschaft und Kinder verzichten? Für mich war das eine große Frage.
Ich hätte mir gut vorstellen können, eine Familie zu haben. Und wenn man dann merkt: Freund:innen heiraten und lassen ihre Kinder taufen und man selbst hat diesen Weg nicht gewählt – dann macht das etwas mit einem. Es ist ein bewusster Verzicht. Und das ist auch etwas anderes, als Single zu sein, weil sich gerade nichts ergibt. Im Ordensleben entscheidest du dich aktiv – für die Gemeinschaft und gegen die Idee von Partnerschaft.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Ordens?
Mein größter Wunsch ist, dass wir als Gemeinschaft weiter nah bei den Menschen bleiben – mit ihnen und für sie da sind. Das ist unser Kernauftrag. Und der bleibt nicht gleich, der muss sich immer wieder neu an den Nöten der Zeit orientieren. Wir fragen uns ständig: Was brauchen die Menschen heute wirklich? Was können wir tun, um darauf zu antworten – mit unseren Einrichtungen, unserem Engagement, unserer Haltung? Ich hoffe sehr, dass wir wach und offen bleiben – und dass wir Menschen finden, die diesen Weg mit uns gehen wollen.
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Mehr über die Autorin dieses Beitrags:

Andrea Lichtfuss ist Chefredakteurin der TIROLERIN und für die Ressorts Beauty und Style zuständig. Sie mag Parfums, Dackel und Fantasyromane. In ihrer Freizeit findet man sie vor der X-Box, beim Pub-Quiz oder im Drogeriemarkt.
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